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Die Yanomami - Kinder des Regenwaldes

Die Yanomami - Kinder des Regenwaldes

von Robert Müntz

Einleitung

Orchideen waren es, die mich zum Amazonas anfang der 1990er Jahre geführt haben und ihre enorme Artenvielfalt, der Duft und ihr häufig exponierter Wuchsort hoch oben in den Urwaldriesen begeisterten mich so sehr, daß ich fast jährlich die Strapazen dieser Reise auch mich nahm. In den vergangenen 11 Jahren habe ich den Regenwald des Amazonas in Sachen Homöopathie 9 mal besucht und wurde regelmäßig von den Farben, Gerüchen und seinen gewaltigen Dimensionen gefangengenommen.

Neben der Pflanzenvielfalt aber fällt dem Besucher aber auch die Andersartigkeit der Eingeborenen und die fremde aber nicht unmenschliche Einstellung zu Leben und Tod auf.

Mir erschien die Aufgabe reizvoll, die Lebensart des größten am Amazonas lebenden Indianerstammes näher zu beleuchten und in einigen Aspekten unserer westlichen Lebensart gegenüberzustellen.

Interessant war es für mich festzustellen, daß Dr. Willmar Schwabe vor knapp 50 Jahren an eben meinen Reisezielen ziemlich genau die selben Eindrücke hatte. So berichtet er: "Abgesehen von der Mückenplage, die ihren Höhepunkt im Verlauf des geographisch berühmten Verbindungsarms zwischen Orinoko und Amazonasgebiet - dem Cassiquiare - hat, erhält die meist in schmalen Einbäumen durchgeführte Flussreise noch eine besondere Note durch die Eigenart der Wasserbewohner, Krokodile bis zu 10 m Länge, Giftrochen mit stachelbewehrten Schwänzen und knapp Karpfengroße Kariben (besser bekannt unter dem brasilianischen Namen Piranhas) sowie durch die an den Ufern nicht gerade seltenen Giftschlangen." 1)

Im Jahre 1808 bereiste Alexander von Humboldt gemeinsam mit seinem Freund Bonplard dieses äußerst unzugängliche Gebiet und konnte die Bifurkation zwischen Rio Negro und Orinoko nachweisen. Noch heute ehrt man den Namen dieses großartigen deutschen Forschers in Venezuela und eine nennenswerte Zahl von geographisch exponierten Punkten weist durch ihren Namen auf seine Spuren hin.

Das Volk der Yanomami ist vermutlich das letzte ursprünglich lebende Volk und dies soll aus zwei Gründen in dieser kleinen Zusammenfassung besondere Beachtung finden:

  1. lebt das Volk heute auf einer Stufe, auf der wir vor vielen tausend Jahren gelebt haben, was reizvolle Vergleiche in Hinsicht unserer heutigen Sitten und Gebräuche zuläßt.
  2. das Volk der Yanomamö gilt als besonders aggressiv und kriegslustig und man hat sich seit ihrer Entdeckung gefragt, ob Kriegslust ein Import der Zivilisation oder ein Verhalten sui generis darstellt.


Lebensraum der Yanomami

Sie leben in 200 bis 250 getrennten, von wildem Unabhängigkeitsdrang erfüllten Dorfgemeinschaften und zählen ungefähr 20.000 Personen, ihr Gebiet hat etwa die Größe ganz Portugals.

Etwa 70 Prozent der Yanomami leben im Süden Venezuelas bei den Tafelbergen, die übrigen in den angrenzenden Gebieten Brasiliens.

Die großen Zivilisationen der Welt - in Ägypten, Mesopotamien, bei den Inkas und anderen - haben sich alle in Gebieten entwickelt, die durch Wüsten, Meere oder andere natürliche Gegebenheiten eingeschossen waren, was der Ausdehnung Grenzen gesetzt und eine zunehmend intensivere Bodennutzung in dem betreffenden Gebiet gefördert hat; und das wiederum hat eine wachsende Komplexität der gesellschaftlichen Organisation nach sich gezogen. Ähnlich zeigt sich die Bevölkerungsdichte bei den Yanomamö: wenn sie auf allen Seiten von Nachbarn umgeben sind, wirken sie organisatorisch einigermaßen komplexer und haben viel höhere Einwohnerzahlen als Dörfer am Rande des Stammesgebietes, die sich uneingeschränkt bewegen können.

Sie sind schriftlos, haben aber im Gegenzug eine sehr reiche und komplexe Sprache.
Das Zählsystem der Yanomamö kennt nur die Zahlen eins, zwei und mehr-als-zwei.
Ihre Kleidung erfüllt eher schmückende als schützende Funktion: voll bekleidete Männer haben nichts weiter an als ein paar Baumwollschnüre um Handgelenke, Fußgelenke und Hüfte.

Der Begriff "Kleidung" deckt sich nicht mit dem Begriffsinhalt unserer Kultur, da Kleidung bei den Yanomamö weitgehend symbolischen oder dekorativen Zwecken dient. Ein gutgekleideter Yanomamö trägt nichts als die Schnur um die Hüfte, an der er die langgezogene Vorhaut seines Penis befestigt hat. Wenn ein Knabe ins Mannesalter kommt, demonstriert er seinen neuen Status dadurch, daß er den Penis an der Hüftschnur festbindet. Es braucht aber ein bißchen Zeit, bis die Vorhaut sich hinlänglich gedehnt hat, um das Glied zuverlässig festbinden zu können; bis dahin rutscht der Penis zur Beschämung seines Besitzers und zur Belustigung der älteren Jungen und der Männer leicht wieder aus der Schlinge heraus.

Wenn im Verlauf eines Zweikampfes einem Kontrahenten der Penis aus der Hüftschnur rutscht, wird der Kampf sofort unterbrochen und der Mangel behoben, worauf der Kampf wieder aufgenommen wird.

Sobald Männer durch den Einfluß einer nahegelegenen Missionsstation beginnen, Hosen zu tragen, hören sie auf, sich den Penis zu binden - ein Hinweis darauf, daß nicht alle Bräuche einer Kultur denen, die sie ausüben, auch Vergnügen machen müssen.

In Abständen von 2-3 Jahren verlegen die Yanomamö ihre kleinen Pflanzungen. Dies nicht etwa, weil der Boden unfruchtbar geworden ist, sondern weil im Lauf der Zeit äußerst dorniger Strauchnachwuchs auftritt, der besonders unangenehm für Menschen ist, die unbekleidet sind.


Das Namensverbot

Es ist bei den Yanomamö Tabu, die Namen angesehener lebender Personen oder verstorbener Freunde und Verwandter auszusprechen. Das könnte sonst die allgegenwärtigen Porés, die bösen Geister, auf den Plan rufen. Für diese wäre der wahre Name ein Schlüsselwort, mit dessen Hilfe sie in den betreffenden Körper eindringen könnten, krank machen und töten.
Daher sind die Yanomamö bemüht, die Namen für Leute so zu wählen, daß beim Tod der betreffenden Person, wenn sie deren Namen nicht mehr verwenden dürfen, dies ihren Sprachgebrauch nicht zu sehr beeinträchtigt.

Deshalb benennen sie die Leute nach den ausgefallensten und geringfügigsten Teilaspekten und erfinden Namen wie zum Beispiel "Fußnagel vom Faultier" oder "Schnurrhaar vom Brüllaffen". Auf diese Weise erhalten sie sich die Begriffe "Fußnagel" und "Schnurrhaar" und geraten nur in Not, wenn sie von diesen Körperteilen in bezug auf Faultiere und Affen reden. Das Namenstabu erstreckt sich sogar auf die Lebenden, denn ein Zeichen für das Ansehen, das jemand genießt, ist die Bereitschaft der anderen, seinen Namen in der Öffentlichkeit nicht in den Mund zu nehmen.

Wer den wirklichen Namen eines Yanomamö kennt und durch die Gegend brüllt, will, nach Auffassung der Yanomamö, den Tod des Angesprochenen. Und der wäre berechtigt, den Rufer zu töten.


Konflikte

Daß die Yanomamö in einem chronischen Kriegszustand leben, findet seinen Niederschlag in ihrer Mythologie, ihren Zeremonien, ihren Siedlungsmustern, ihrem politischen Verhalten und ihren Heiratspraktiken.

Anthropologen waren geneigt, diesen vorindustriellen Mensch dem "edlen Wilden" Rousseaus zuzuschreiben und die Gewalttätigkeiten bei den Yanomamö als von außen hereingetragenen Einfluß zu sehen.

Davor wären die Menschen von Natur aus gut und friedfertig gewesen, sie hätten ein ruhiges, friedliches Leben geführt, sich gegenseitig mit liebevollen Verwandtschaftsnamen angeredet, einander aufopferungsvoll beigestanden und alles mit jedermann brav geteilt, vor allem die Geschlechtspartner.

Diese Hypothese kann weder bewiesen und noch widerlegt werden, fest steht lediglich, daß das Leben im Regenwald sehr hart und mühsam ist und eine gewisse Härte und Streitbarkeit für das Überleben notwendig ist.

Ihr Jahreszyklus ist durch zwei Phasen bestimmt, die Regenzeit, in der die tiefliegenden Urwaldgebiete überschwemmt sind und die Fortbewegung schwierig ist, und die Trockenzeit, in der man andere Dörfer besucht, um Feste zu feiern, Tauschhandel zu betreiben und mit Bundesgenossen Politik zu machen. Die Trockenzeit ist auch die Periode, in der Streiftrupps losziehen und ihre nichtsahnenden Gegner heimlich überfallen können.

Sie führen keinen rituellen Krieg, aber es stirbt dennoch mindestens ein Viertel aller männlichen Erwachsenen eines gewaltsamen Todes.

Zur sozialen Dynamik innerhalb der Dörfer gehört das Geben und Empfangen von heiratsfähigen Mädchen.

Die Heirat stellt einen politischen Vorgang dar und wird von älteren Sippengenossen, meist Männern, angebahnt.

Es herrscht Knappheit an Frauen, die zum Teil ihren Grund darin hat, daß in den unteren Altersgruppen das Zahlenverhältnis zwischen den Geschlechtern unausgewogen ist, die aber noch dadurch verschärft wird, daß manche Männer mehrere Frauen haben. Die meisten Streitigkeiten innerhalb der Dörfer entstehen aus sexuellen Affären oder daraus, daß eine versprochene Frau nicht geliefert wird - oder daß eine verheiratete Frau kurzerhand von einem anderen Mann geraubt wird.


Streit

Wie unsere Offiziere und Soldaten kämpfen auch die Anführer und Krieger bei den Yanomamö, um ihre Gruppe zu verteidigen und zu schützen. Fast alle Yanomamö sehen im Krieg etwas Widerwärtiges und können gut und gern auf ihn verzichten.

In ihrem von den Einflüssen der Zivilisation weitgehend unbeeinflußten Leben gibt es eine sehr hochentwickelte Streitkultur mit exakten Regeln. Von unorganisierten und primitiven Wilden kann hier keine Rede sein.

Die Konflikte der Yanomami sind kein Ausbruch blinder, unkontrollierter Gewalt, sondern es gibt abgestufte Formen der Gewalt, die vom Brustschlagen über den Zweikampf mit Stöcken bis zum Gebrauch tödlicher Schußwaffen reichen.


Brustschlagen

Dabei stellen sich die Kontrahenten gegenüber auf und der Herausforderer bietet dem Gegner seine Brust zum Schlag an. Dieser hebt seinen Oberkörper und holt zu einem gewaltigen Fausschlag auf die Brust aus ohne jedoch mit den Beinen den Boden zu verlassen.

Augenblicklich zeigt sich eine tiefrote Schwellung an der Stelle des Schlages, die bis zu Faustgröße erreichen kann. Nun kann der Herausforderer seinerseits zum Schlag ausholen und seinem Gegner einen Faustschlag versetzen. Dies geht abwechselnd so lange weiter, bis einer der Streitpartner aufgibt oder zusammenbricht. Ernsthafte Verletzungen gibt es bei diesen Auseinandersetzungen nicht.


Stockkampf

Die nächsthöhere Stufe der Auseinandersetzung ist der Stockkampf:
Die Stöcke, mit denen die Kämpfe ausgefochten werden, sind gewöhnlich 2 bis 3 Meter lang. Die meisten Stockkämpfe sind Zweikämpfe, die gewöhnlich ausgetragen werden, weil ein Mann einen anderen beschuldigt, mit seiner Frau fremdgegangen zu sein. Der erzürnte Ehemann fordert seinen Kontrahenten auf, ihn mit einem Stock auf den Kopf zu schlagen. Er stellt seinen eigenen Stock senkrecht auf, lehnt sich dagegen und bietet dem Gegner den Kopf zum Schlag dar. Hat er den Schlag eingesteckt, kann er seinerseits einen austeilen. Aber sobald Blut fließt, reißt sich fast ein jeder im Dorfe eine Stange aus dem Gerüst der Hütten und beteiligt sich auf der einen oder anderen Seite am Kampf.

Diese Kampfform hinterläßt tiefe, häßliche Narben an der Kopfhaut, auf die die Besitzer sehr stolz sind. Um sie optisch noch mehr hervorzuheben, werden sie häufig mit dem roten Farbstoff Uruku (= Bixa orellana) eingefärbt.

Stockkämpfe kommen in großen Dörfern häufiger vor, hauptsächlich deshalb, weil es dort mehr Gelegenheit für heimliche sexuelle Abenteuer gibt. Je größer das Dorf, um so zahlreicher die Kämpfe.

 

Überfall

Der Überfall ist eine noch höhere Stufe der Gewalt bei den Yanomamö, die sich gegen benachbarte Siedlungen richtet, er stellt den eigentlichen Krieg dar. Ziel des Überfalles ist es, ein paar von den Feinden zu töten und sich unentdeckt wieder davon zu machen. Wenn dagegen die Opfer des Überfalles ihre Angreifer verfolgen und einen von ihnen töten, gilt der Überfall als mißlungen, gleichgültig, wie viele Personen die Angreifer zuvor getötet haben.

Ein paar Kriege werden aber auch ausschließlich mit dem Ziel unternommen, Frauen zu entführen.

Befinden sich Neulinge im Streiftrupp, inszenieren die älteren Männer Scheinangriffe, um ihnen zu zeigen, wie sie sich verhalten müssen. Dafür wird häufig eine Puppe aus Gras oder ein Klotz aus weichem Holz verwendet. Die jüngsten Männer werden irgendwo in der Mitte der Marschkolonne eingereiht, so daß sie nicht in vorderster Front sind, wenn der Streiftrupp in einen Hinterhalt gerät. Diese jungen Männer dürfen auch als erste den Rückzug antreten.

Jene Männer, die bei einem Streifzug einen Gegner getötet haben, müssen sich anschließend einem Reinigungszeremoniell unterziehen, das dem Ritus bei Eintritt der Mädchen in die Geschlechtsreife sehr ähnlich ist.

Diese Aufarbeitung und Bewältigung der Tötung eines Gegners hat einen sehr hohen ethischen Stellenwert und findet kein Pendant in unserer Kultur.

Annähernd 30% aller Todesfälle bei männlichen Erwachsenen geht auf Gewalteinwirkung zurück, annähernd 40% der Männer haben an einer Tötung eines Gegners teilgenommen.


Verrat

Die extremste Form der Gewalt bei den Yanomamö stellt der Verrat dar, bei dem mit List die Gegner in einen Hinterhalt gelockt und getötet werden.

Männer, die getötet haben, bekommen leichter Frauen und dementsprechend auch mehr Nachkommen als Männer gleichen Alters, die keine sogenannten Unokais sind. Sie haben etwa 2 ½ mal so viele Frauen und 3 mal so viele Kinder.

Einfluß, Macht und Streitbarkeit wird bei den Yanomamö honoriert, so wie auch wir streitbare Vordenker mit politischen Ämtern versehen.

Bei den Yanomamö, deren Regierungsform keine parlamentarischen oder staatlichen Strukturen und Ordensverleihungen kennt, werden Unokais dadurch belohnt, daß sie mehr Frauen bekommen und mehr Kinder zeugen dürfen. Biologisch sind sie uns in den wesentlichen Punkten ähnlich, unsere Kulturen allerdings sind verschieden.

Die finden Krieger hier wie dort ihren Lohn - in der Währung, die den jeweiligen kulturellen Gegebenheiten entspricht.


Ehebeziehungen

Die Gesellschaft der Yanomamö ist entschieden männerorientiert. Die Entscheidung, wer wen heiratet, ist bei den Yanomamö Sache der älteren Familienangehörigen; die Mädchen selbst haben dabei praktische kein Mitspracherecht. Wenn ein Mädchen heiratet, bedeutet das nicht automatische eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Stellung, eine besondere Heiratszeremonie gibt es nicht. Die öffentliche Kenntnisnahme beschränkt sich auf eine Äußerung wie "Ihr Vater hat sie dem-und-dem versprochen".

Die Männer haben Schwierigkeiten, Frauen zu finden, weil Frauen Mangelware sind - einige erfolgreiche Männer haben viele Frauen, erfolglose dagegen gar keine.

Die Frauen haben wiederum nie Probleme, einen Mann zu finden und sind immer (oder fast immer) ihr ganzes Erwachsenenleben hindurch verheiratet.

In den Mythen der Yanomamö spielt das Geschlechtsleben eine große Rolle - und so ist es nicht verwunderlich, daß sie tausende verschiedene Wörter für Sexualität haben.

Im alten Israel existierte die Sitte der Leviratsehe, die Ehe mit dem Bruder des verstorbenen Mannes. Sie wurde in Orcan (1.Mose 38) und von Ruth erwähnt und schließlich als Gesetz geboten (5. Mose 25). Sie hatte den Zweck, dem Verstorbenen einen Sohn zu verschaffen, es wird der erste ihm zugerechnet. Sein Name soll erhalten bleiben und sein Besitz auf Erben übergehen. Die Rabbinen verboten die Leviratsehe und heute wird die Pflicht durch Chalizeh abgelöst, bei der die Witwe dem Schwager den Schuh auszieht, hineinspuckt und ihn schmäht.

Ähnlich wie beim biblischen Levirat, bei dem also ein Mann die Witwe seines verstorbenen Bruders heiraten soll, gibt es bei den Yanomamö den Brauch des Sororats:

So ist es bei ihnen üblich, daß Männer sich mit Kreuzbasen verheiraten, also die Tochter des Bruders der Mutter ehelichen.

Das bedeutet auch, daß Vater und Bruder des Vaters als "Vater" bezeichnet werden, ebenso aber auch Mutter und deren Schwester als "Mutter" bezeichnet werden und als solche gelten.

Es ist außerdem für einen Mann sehr unschicklich und kommt einem Inzest nahe, mit der Mutter einer Frau, die er heiraten könnte oder geheiratet hat, engeren Gesellschaftskontakt zu pflegen.

Polygynie in einer Gesellschaft mit patrilinearer Abstammung hat für die gesellschaftliche Organisation ganz andere Folgen als die Polyandrie (Vielmännerei) in einer Gesellschaft mit matrilinearer Abstammung. Ein Mann mit zehn Frauen kann viel mehr Kinder in die Welt setzen als eine Frau mit zehn Männern und kann somit den Fortbestand der Sippe besser sichern.

Es ist durchaus nichts ungewöhnliches, daß Ehefrauen von ihren Ehemänner oft grausam mißhandelt werden. Gewöhnlich kann aber eine Frau damit rechnen, daß ihre Brüder sie gegen einen grausamen Ehemann schützen. Das kann bedeuten, daß die Brüder sie dem Ehemann wegnehmen und einem anderen Mann geben. Die Frauen fürchten sich davor, an Männer in weit entfernte Dörfer verheiratet zu werden, weil sie wissen, daß ihre Brüder sie dort nicht schützen können.

Die Frauen begleiten normaler Weise ihre Männer zur Pflanzung und helfen beim Pflanzen und Jäten. Das ist eine der Methoden der Männer, die Frauen von Seitensprüngen abzuhalten. Die Männer rechnen damit, daß ihr Partner rasch von anderen Männern um sexuelle Gefälligkeiten angesprochen wird und der Versuchung erliegen könnte, eine Befürchtung, die keineswegs aus der Luft gegriffen ist.

Die durchaus nicht seltene Scheidung eine Ehepaares erfolgt ohne den bei uns üblichen Rosenkrieg und zeigt sich schmucklos: Die Ehefrau knüpft ihre Hängematte von der Seite ihres Mannes ab und hängt sie im Haus eines anderen Mannes auf, die Scheidung ist somit vollzogen.

Die Kinder der Yanomamö verbringen viel Zeit damit, das pflanzliche und tierische Leben in ihrer Umgebung zu erforschen; sie sind schon in frühem Alter gewiefte Naturkundler. Die meisten der zwölfjährigen Jungen zum Beispiel können zwanzig Bienenarten aufzählen und können beschreiben, worin sich die Arten nach Körperbau und Verhalten unterscheiden und welche den besten Honig erzeugt.

Hin und wieder hält ein Dorfbewohner, bei dem es sich gewöhnlich um einen der angeseheneren
Männer handelt, in den frühen Morgenstunden vor Sonnenaufgang eine lange, laute Rede, in der er seine Ansichten über Gott und die Welt zum besten gibt. Die Yanomamö nennen das patamou oder kawa amo - großtun. Interessierte Parteien steuern manchmal ihre eigenen Ansichten bei, aber meistens murren die Zuhörer nur wegen des Krachs und versinken wieder in Schlaf.


Bündnisse

Bündnisse zwischen Yanomamösiedlungen können auf drei Ebenen verharren: der Ebene des sporadische Tauschhandels, der gegenseitigen Bewirtung oder des Austauschs von Frauen.

Der Frauentausch gibt den Stämmen die Möglichkeit, verwandtschaftlichen Beziehungen zu anderen Dörfern herzustellen, mit denen es historisch durch keine Sippenbande verknüpft ist.

Zu den Vorteilen, die sich die Yanomamö von einem Bündnis versprechen, gehört die Verpflichtung der Bündnispartner, sich gegenseitig Zuflucht zu gewähren, wenn einer von ihnen durch einen Feind aus seinem Dorf und seiner Pflanzung vertrieben wird.

Je länger aber eine Gruppe den Schutz eines gastgebenden Dorfes sucht, um so höher ist die Zahl der Frauen, die sie als Dank den Gastgebern überlassen müssen.


Tauschhandel

Zu den Bedingungen für ein stablies Bündnis gehören regelmäßige Besuche und gemeinsame Feste; die Tauschhandelseinrichtung sorgt für das Zustandekommen dieser Besuche.

Typisch für den Tauschhandel der Yanomamö ist, daß jeder Tauschartikel immer mit einer anderen Sorte Artikel bezahlt wird. Die Gegenleistung wird aber immer zu einem viel späteren Zeitpunkt erbracht, der Beobachter gewinnt den Eindruck, die Dinge werden unentgeltlich, als Geschenk, weitergegeben.

Diese beiden Umstände führen zum Ergebnis, daß der Tauschhandel praktisch kein Ende findet, sondern immer weiter fortgeführt wird.

Jeder Tauschhandel endet damit, daß die Gastgeber das Gefühl haben, allzu freigiebig gewesen zu sein, während die Gäste sich beklagen, sie hätten nicht genug erhalten.

Anführer von Stämmen geben normalerweise nur Befehle, wenn sie so gut wie sicher sein können, daß den Befehlen auch Folge geleistet wird. Meistens beschränken sie ihre Führungsfunktion darauf, Vorschläge zu machen oder durch ihr Beispiel zu wirken. Hierin besteht eine große Ähnlichkeit mit den Indianerhäuptlingen Nordamerikas, deren Macht folgender maßen beschrieben wurde: "Ein Wort vom Häuptling, und jeder macht, was er will."
Die Yanomamö schreiben fast alle Todesfälle böser Magie zu, ausgenommen jene, an denen offensichtlich ein anderer Mensch oder ein Tier schuld ist.

Ihrer Ansicht nach sterben die Kleinkinder, weil jemand böse Geister - hekura - geschickt hat, um ihre Seelen zu rauben oder weil jemand von weit weg einen Zauberbann hergeblasen hat, der sie hat krank werden und sterben lassen.


Alltag

Bedauerlicherweise hat ein Shabono nur etwa zwei Jahre Bestand, weil dann das Blätterdach undicht werden zu beginnt und sich gleichzeitig so mit Kakerlaken und anderen Insekten bevölkert hat, daß die Häuser bis auf den Grund niedergebrannt werden müssen, um das Ungeziefer loszuwerden. Die Kakerlaken können so groß wie kleine Vögel sein oder so winzig, daß sie zwischen den Teilen eines Fotoobjektives herumkrabbeln können.

Eine Vorstufe unserer Haustierhaltung stellt das Züchten von Maden dar: Die Yanomamö schlagen eine bestimmte Palmart um und essen das Palmherz. Wochen später kommen sie wieder zur Palme und sammeln die etwa 50 - 60 fetten Maden, die sich in der Zwischenzeit im Inneren der Palme fettgefressen haben. Sie nehmen den Kopf der Made zwischen die Zähne und mit einem Ruck entfernen sie den Körper von Kopf und Eingeweiden. Der Leib der Made wird in einer Pfanne knusprig gebraten und gilt bei den Yanomamö als größte Delikatesse.

Eine andere Made, die sie von einer Wildblume sammeln, lassen sie sich von Freunden ins Ohr stecken, wenn sich zu viel juckendes Ohrschmalz angesammelt hat. Nach einiger Zeit krabbeln die Maden wieder heraus, bedeckt mit Ohrschmalz - das kitzelt zwar ein wenig, aber es ist besser als das Jucken.

In den letzten 125 Jahren vermehrte sie die Bevölkerung der Yanomamö fast explosionsartig, was man unter anderem auf die Verwendung von Stahlwerkzeugen zurückführt, die sie für die Urbarisierung ihres Landes einsetzen. Mit Macheten können wesentlich größere Bananenpflanzungen bearbeitet werden, als mit primitiven Stein- oder Holzwerkzeugen, was es ihnen auch erlaubt, die Versorgung mit Nährstoffen wesentlich zu verbessern.

Wenn Yanomamö zum ersten Mal Salz schmecken, lehnen sie es ab und behaupten, es tue an Zähnen und Zahnfleisch "weh"; aber allmählich finden sie Gefallen daran und fragen oft danach.

Wichtiges Kulturgut der Yanomamö ist Tabak, den sie überwiegend kauen. Nach dem Trocknen mit Rauch ist er gebrauchsfertig - dabei rollen sie sich einen zigarrenähnlichen Ballen mit Asche und Wasser zu einer schlammartigen Masse. Mit ersichtlichen Genuß schiebt dann der Besitzer den großem Pfropfen zwischen Unterlippe und Zähne, worauf er oder sie sich mit einem wohligen Seufzer in die Hängematte zurücksinken läßt, um an dem sandkorndurchsetzten, grünlichen überdimensionierten Polster zu saugen. Mit ihrem Tabak gehen die Yanomamö recht sozial um. Wenn jemand seinen Packen einen Augenblick aus dem Mund nimmt und zur Seite legt, kann es durchaus passieren, daß ein anderer ihn nimmt und daran saugt, bis der Besitzer ihn zurückhaben will. Es liegt auf der Hand, daß diese Art, den Tabak zu teilen, der raschen Verbreitung von Viren und Infektionskrankheiten beträchtlichen Vorschub leistet, und zwar sowohl innerhalb des Dorfes als auch im regionalen Maßstab.

Ein ebenso bedeutendes Gut im sozialen Alltag der Yanomamö stellt Epena dar, ein halluzinogenes Schnupfpulver aus den Samen eines Baumes namens Anadenanthera peregrina. Es wird nach dem Trocknen und Mahlen mittels langer Blasrohre dem Partner in die Nasenlöcher geblasen, in jedes Nasenloch mindestens 1g des Pulvers. Die Wirkung des Samenpulvers ist psychedelisch und erzeugt mehrdimensionale Visionen. Es kommt zu Ich-Auflösungen, Sterbe- und Wiedergeburtserlebnissen, Tierverwandlungen und Flugerlebnissen. Wirksames Agens sind Derivate des NN-Dimethyltryptamines, eines Neurotransmitters im Gehirn, der die bewußtseinserweiternden Eindrücke bewirkt.

Derartige bewußtseinserweiternde Drogen werden fast überall am Amazonas verwendet, vor allem Zubereitungen von Ayahuasca (=Banisteriopsis caapi) durch Schamanen.

Mit Hilfe dieser psychoaktiven Pflanze bestimmen die Indianer ihren Lebensrhythmus, ob es nun darum geht, Waffen, Zeichnungen, Farben, Kleidung Medizin oder anderes herzustellen, oder wenn es darum geht, den günstigsten Zeitpunkt für eine Reise in entfernte Gebiete zu finden.

Dabei zeigt es sich, daß die Menschen für den Schamanismus sehr unterschiedlich begabt sind, sie brauchen dazu eine ganz spezielle jahrelange Ausbildung. Deshalb wird in den meisten Gesellschaften, in denen es institutionalisierte Schamanen gibt, der Gebrauch von visionär wirkenden Pflanzen in einen ausschließlich rituellen Rahmen eingebettet. Zur Vorbereitung eines Erkenntnisrituales gehört neben dem Sammeln der Pflanze die sexuelle Abstinenz und Fasten und die Reinigung durch Klistiere und Bäder. Bei der Durchführung des Zeremoniells wird nach dem Opfer an die Götter und dem Gebet die Droge eingenommen und die Seelenreise beginnt. Diese beinhaltet die Kommunikation mit den Pflanzengeistern, den Göttern oder den Tierseelen. Am Ende dieses Rituales steht die Diagnose bzw Prophezeiung sowie das Dankesopfer.


Feste

Manchmal gibt es so reichlich Früchte, daß sie verschwendet werden müssen. Sie zerstampfen die Früchte zu Brei, vermischen sie mit Wasser und veranstalten mit den Angehörigen benachbarter Dörfer wüste Saufgelage. Sie trinken von dem Gebräu bis zu vier Litern, erbrechen und trinken weiter, bis nichts mehr da ist. Sie nehmen sich einen Gast aufs Korn, jagen ihn durch den Ort, stellen ihn und zwingen ihn dann, solche Quanten von Chicha zu kippen, daß es stoßweise wieder hochkommt. Die Gäste suchen sich ihrerseits ein Opfer und machen mit ihm dasselbe. Es herrscht ein lebhaftes Treiben, bei dem einem bereits vom bloßen Zuschauen schlecht wird und Assoziationen zum Münchner Oktoberfest tauchen auf.


Krieg

Befindet sich ein Dorf im Kriegszustand mit dem Nachbardorf, sind die Spannungen innerhalb der Gemeinschaft enorm hoch. Es verläßt in solch einer Situation niemand mehr das Dorf. In solchen Zeiten trauen sich die Yanomamö nicht einmal zum Verrichten der Notdurft aus dem Dorf.

Krieg ist im Flachland eine viel entwickeltere und geläufigere Erscheinung. Die Männer in den Flachlanddörfern benehmen sich zudringlich und aggressiv; die Männer aus den kleinen Hochlanddörfern machen einen ruhigen und sanften Eindruck. In den Flachlanddörfern findet man mehr entführte Frauen - Frauen, die von schwächeren Nachbarn oder aus Hochlanddörfern geraubt wurden. Dagegen trifft man in den Hochlanddörfern wenig entführte Frauen, und wenn, dann stammen sie aus den anderen kleinen Hochlandgruppen und nicht aus den kriegslustigen, größeren und mächtigeren Flachlanddörfern. Schließlich sind auch nicht so viele erwachsene Männer in den Hochlanddörfern unokais.

Das hohe Aggressionspotential der Yanomamö wurde öfter mit der wechselnden Versorgungslage mit Eiweiß versucht zu erkären.

Dieses Vorgehen scheint mit dem Gedankengut des Edlen Wilden Jaques Rousseaus in Zusammenhang zu stehen, daß man also Aggression als Folge von Nahrungsmittelknappheit zu deuten bemüht war. Interessanter weise stellte sich heraus, daß offenbar die Kriegslust direkt proportional der Versorgung mit Proteinen ist. Sie sind also um so aggressiver, je besser die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist.

Der Krieg ist Ausdruck für eine Wegentwicklung vom Urzustand, in den die Schöpfung den Menschen geboren hat. Am Anfang herrschte ein Zustand der Einfachheit, Genügsamkeit, Unabhängigkeit und Muße, die Bedürfnisse der Einzelnen waren beschränkt. Der Zusammenschluß in geographisch abgegrenze Siedlungen, die eine quasi Kleinstaatenstruktur haben, veränderte die Situation grundlegend. Entscheidend dürfte für die weitere Entwicklung der Yanomamö die Einführung der Arbeitsteilung (Jagd, Küche, Herstellung von Keramik, Curare, - eine weitgehende Spezialisierung der Yanomamö-Dörfer) sein. Der nächste Schritt, der den Yanomamö entwicklungsgeschichtlich nun bevorsteht (sofern sie überleben können) ist die Aufhebung der ursprünglichen Gütergemeinschaft und die Einführung des Privateigentums. Rousseau erkannte in dieser Abfolge von Arbeitsteilung und Einführung von Privateigentum die Ursache des Krieges, der den moralisch guten und glücklichen Menschen in eine gesellschaftliche Abhängigkeit führte. Aus der durch das Privateigentum bedingten Ungleichheit und der mit dieser verbundenen Konkurrenz entsteht der Krieg, der somit nicht den Bedingungen des Naturzustandes anzulasten ist, sondern erst auf einer bestimmten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung unvermeidlich wird.

Im Regenwald des Amazonas gibt es keinen Eroberungs-, Religions-, Erbfolge- oder etwa Handelskrieg, sondern Krieg der ganz besonderen Art. Untersucht man nämlich die Motive, die zu kriegerischen Auseinandersetzungen bei Yanomamö führen, so kommt man zum Schluß, daß sie Krieg um Sexualität führen. Die gewaltsame Lösung von Konflikten dient Falle der Yanomamö überwiegend dem Frauenraub, der Rächung desselben bzw Vergeltung von außerehelichen sexuellen Abenteuern. Sie dient jedenfalls nicht zur Beugung des gegnerischen Willens und ist daher kein Krieg in unserem Sinn.


Sprache

Das aktive Vokabular der meisten Yanomamö dürfte viel größer sein als das aktive Vokabular der meisten Menschen in unserer eigenen Kultur, das etwa sechs- bis siebentausend Wörter umfaßt. Es stimmt zwar, daß unsere Sprachen einen weit größeren Wortschatz haben als die Yanomamö-Sprache, aber ebenso richtig ist, daß die Yanomamö von ihrem Sprachschatz mehr Wörter parat haben als wir von unserem.

Unsere Schriftsprachlichkeit hat uns träge werden lassen, da wir die Sachen immer nachschlagen können.

Vor diesem Hintergrund ergibt die Bemerkung "Ich besitze die Wahrheit", die man von Yanomamö oft hören kann, einen guten Sinn.


Religion

Über den Kosmos haben die Yanomami ganze genaue räumliche Vorstellungen, er zeigt vier parallele Schichten, die horizontal verlaufen und durch einen unbestimmten, aber relativ kleinen Zwischenraum getrennt sind. Die Schichten dieses Kosmos haben eine gewisse Ähnlichkeit mit umgedrehten Eßtellern - sie sind leicht gewölbt, rund, stabil und haben eine Ober- und Unterseite. Die Ränder einiger Schichten gelten als verfault und ziemlich morsch.
In der Randzone draußen passieren viele zauberhafte Dinge, sie ist ein geheimnisvolles und gefährliches Geisterreich.

Manchmal wird die oberste Schicht mit dem Ausdruck "alte Frau" belegt, mit dem man auch aufgegebene, unproduktive Pflanzungen bezeichnet.

Danach folgen He Du Ka Misi - die Himmelsschicht, die quasi ein Spiegelbild des Irdischen Lebens darstellt.

Für die Yanomami gibt es keine Schöpfung in unserem Sinn, sie meinen, daß es alle Wesen zu Beginn des Kosmos bereits gab.


Kannibalismus

Mit der Entdeckung der Neuen Welt entstand auch der Begriff des Kannibalismus, also der Menschenfresserei, die den indigenen Gruppen auf Haiti, nördliches Südamerika und Domenika zugeschrieben wurde.

Er gilt als der Inbegriff der primitiven Lebensform und ist in unserer Kultur ausschließlich negativ besetzt.

Nun ist es aber gerade unser christliche Glaube, der sich einer streng genommen kannibalistischen Handlung beim Sakrament der Kommunion bedient.

Das Abendmal der Christlichen Religion gehört zu einer besonderen Gruppe von kannibalistischen Akten, die als Theophagie bezeichnet wird. Dies ist eine symbolische, mystische - und rituell kannibalistische - Handlung, die darin besteht, den Leib eines Mannes Namens Jesus Christus zu essen und sein Blut zu trinken.

Die Yanomamö sind endokannibalistische Anthropophagen, sie essen von ihren Toten: die Asche und die zermahlenen Knochen, die Reste der Feuerbestattung.

Wenn jemand stirbt, wird die Leiche auf den freien Platz im Dorf gebracht und dort auf einen Stoß Brennholz gelegt und angezündet. Die Kinder und Kranken schickt man aus dem Dorf, denn der Rauch von der brennenden Leiche kann sie vergiften. Jemand paßt am Feuer auf, ob der Leichnam auch vollständig verbrennt, vor allem die Leber.

Brennt die Leber nicht gut, ist das ein Zeichen dafür, daß die betreffende Person zu Lebzeiten Blutschande begangen hat.

Sobald die Asche ausgekühlt ist, wird sie sorgfältig und feierlich gesiebt. Die unverbrannten Knochen und Zähne werden in einem hohlen Baumstamm zermahlen und ebenso in kleinen Kürbisflaschen aufbewahrt. Die Asche, die im Baumstamm zurückgeblieben ist, wird mit einer Bananensuppe herausgespült und von den versammelten Verwandte und Freunden getrunken, die laut und heftig klagen, sich mit den Händen die Haare raufen und reichlich Tränen vergießen.

Die Asche der Kürbisflaschen wird später in einem aufwendigen Fest mit Kochbananensuppe vermischt und mit weit entfernten Dörfern im Verlauf einer Trinkzeremonie verspeist.

Es ist verständlich, wenn uns zu diesem Brauch der Zugang fehlt, zumal wir kulturgeschichtlich gesehen immer den Leichnam eines Verstorbenen sofort Gott überantwortet haben und uns der sterblichen Überreste des Toten unverzüglich entledigen, sie wieder zu Staub werden zu lassen.

Bei den Yanomamö aber ist der Leichnam noch immer Ziel eines Aktes der Nächstenliebe, seine Asche dient den Hinterbliebenen zur Stärkung und Erhaltung der Seele. Ein Toter, der nicht auf diese Weise bestattet wird, gilt als verlorene Seele und schwächt die Hinterbliebenen.

Wenn Yanomamö eine Liebeserklärung aussprechen, sagen sie nicht etwa: "Ich liebe Dich" sondern sagen:

"Wenn Du tot bist, esse ich Deine Asche".


Feste, bei denen die Asche von Verstorbenen mit Kochbananensuppe verspeist wird, dienen auch manchmal als Vorspiel für einen kriegerischen Streifzug, an dem zwei oder mehrere Dörfer beteiligt sind. Am Tag bevor der Streiftrupp aufbricht, bewirtet der Initiator des Unternehmens seine Verbündeten mit einem Fest.

 

Literatur
1 Dr. Willmar Schwabe: Auf den Spuren Humboldts" Ärztliche Praxis im Bild, Nr.4, 15.August 1959, S.114-117

 

(1.10.1994)