Causticum Hahnemanni - Grimm
von Andreas Grimm
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Causticum Einleitung
Causticum Hahnemanni ist zweifellos das umstrittenste PrĂ€parat der Materia medica. Es wurde schon zu Lebzeiten Hahnemanns zum Zankapfel innerhalb der homöopathischen Ărzteschaft, jedoch nicht wegen fehlender oder ungenĂŒgender Arzneiwirkung sondern wegen seiner chemischen Zusammensetzung. Die âwahre Natur" des Causticum hat damals wie heute viele Spekulationen ausgelöst. Die Frage nach den Inhaltsstoffen stellt sich keineswegs nur aus theoretischen ErwĂ€gungen, sondern hat fĂŒr die tĂ€gliche Praxis Bedeutung. Eine sichere Arzneitherapie ist nur möglich, wenn die zur Therapie verwendete Arznei und die geprĂŒfte Arznei ident sind. (Zur ĂberprĂŒfung dieser Ăbereinstimmung muss die chemische Zusammensetzung aufgeklĂ€rt oder die Originaltreue des Herstellungsverfahrens gewĂ€hrleistet sein). Ăbrigens fand Causticum, obwohl zu den Polychresten gehörend keine Aufnahme ins homöopathische Arzneibuch (HAB1) *
Nach 150 Jahren scheint es an der Zeit, einen Versuch zur endgĂŒltigen KlĂ€rung seiner chemischen Beschaffenheit zu unternehmen.
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Zur Geschichte der Causticum- Chemie
âCausticum. Ătzstoff" wurde von Hahnemann in seinen âChronischen Krankheiten", 4. Band, 1830 beschrieben und in die Materia medica eingefĂŒhrt, die endgĂŒltige Fassung erschien dann 1837 in der 2. Auflage. [ii]
Hahnemann glaubte, im Causticum ein vollkommeneres und reineres Produkt der Aetzstofftinktur (Tinctura acris)", erstmals in der âFragmenta"[iii]), dann in der Reinen Arzneimittellehre [iv] erwĂ€hnt, gefunden zu haben und lobt die antipsorischen Tugenden seines neuen PrĂ€parates. [v]
Griesselich unternahm 1835 âmit einem geschickten Chemiker" den Versuch, genau nach Hahnemanns Vorschrift Causticum zu prĂ€parieren.
Da er nach wiederholten Versuchen kein mit Hahnemanns Beschreibungen ĂŒbereinstimmendes PrĂ€parat herstellen konnte, forderte er die Ărzte auf, ĂŒber ihre Erfahrungen zu berichten und entweder Hahnemanns Angaben zu bestĂ€tigen oder zu widerlegen. [vi] Die Resonanz blieb aus, und er kam zu dem SchluĂ: âEin Causticum gibt es nicht und kann es nicht geben". [vii] Da es fĂŒr Griesselich offenbar von Wichtigkeit war, die Diskussion um Causticum aufrechtzuerhalten, weil er damit hoffte, Hahnemanns AutoritĂ€t in Frage stellen zu können [viii], und er auĂerdem der Meinung war, â... in naturwissenschaftlichen Dingen mĂŒsse Klarheit herrschen, und Wein könne nicht Wasser genannt werden, wie Causticum nicht Causticum, wenn es keines gibt"[ix], setzte er 1837 einen Preis von 12 Ducaten fĂŒr die endgĂŒltige KlĂ€rung der chemischen Natur des Causticums aus. [x] Aber â...kein Mensch bewarb sich und wollte gratis oder fĂŒr 12 lumpige Ducaten Hahnemanns Causticum-Ehre im Destillirkolben die Feuerprobe bestehen lassen... Die WortfĂŒhrer des Causticum, die Ritter ohne SchĂ€rfe, mögen mit besseren als mit Wortbeweisen kommen, die Eher des chemischen Nichts zu retten".[xi]
Einerseits vielleicht angespront durch diese kernigen Worte, andererseits initiiert von AnhÀngern Hahnemanns, die ihrem Meister Hilfestellung geben wollten, setzte eine langanhaltende Diskussion ein und zahlreiche chemische Versuche wurden unternommen. Die Experimentatoren kamen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, was wiederum zu den abenteuerlichsten Spekulationen Anlass gab. 1835: Griesselich beschreibt sein PrÀparat als fade schmecken, mit Geruch nach schwachem Kalkwasser, weder saure noch alkalische Reaktion zeigend. [xii]
1836 glaubt derselbe Autor, Calcium causticum sei der Inhaltsstoff. [xiii]
1837 erhÀlt Buchner ein wasserhelles, farbloses PrÀparat von laugenhaftem Geruch und Geschmack, das kein Brennen, höchstens ein Kratzen im Schlund verursacht, mit deutlich alkalischer Reaktion und weist Ammoniak nach.[xiv]
Im gleichen Jahr hĂ€lt Veith Causticum fĂŒr nichts anderes als Kali causticum, ohne jedoch experimentelle Ergebnisse fĂŒr diese Behauptung anzugeben.[xv]
1840 beschreibt Piper ein PrÀparat mit schwachem, unbestimmten Geschmack und deutlichem Geruch nach Kalk und siedendem Leim. Er weist darin Spuren von SchwefelsÀure, aber keinen Ammoniak nach.[xvi]
1840 beschlieĂt die Vereinsversammlung in Mainz, das PrĂ€parat sein Ammoniak, worauf Griesselich vorschlĂ€gt, statt des Causticum reines Ammonium causticum anzuwenden.[xvii]
1841 beschreibt Lappe, den Hahnemann 1829 in einem Brief [xviii] um eine Analyse bat, sein PrĂ€parat so: Wasserhelle, farblose FlĂŒssigkeit, alkalisch wie
Kalk beim Löschen riechend. In zahlreichen Versuchen konnte er Ammoniak, eine âSpur von Kalkerde" und eine kohlenstoffhaltige Substanz unbekannter Herkunft finden.[xix]
1841: Griesselich bezeichnet Causticum als â... chemisches Unding"[xx], schlieĂt aber spĂ€ter aus Buchners und Lappes Ergebnissen, dass Causticum âaller Wahrscheinlichkeit" geringe Mengen an kohlensaurem Ammoniak (nicht reinen Ammoniak) enthalte.[xxi]
1843 stimmt die 10. Versammlung des rheinischen Vereins darin ĂŒberein, dass Causticum âein unsicheres PrĂ€parat sei, dessen Ursprung auf einer irrigen chemischen Idee beruhe". [xxii] Im gleichen Jahre schlieĂt sich dem Rummel an: âCausticum ist auch so ein Mittel von zweideutigem Ruf."[xxiii]
1843 werden beim Vergleich zweier PrĂ€parate wider unterschiedliche QualitĂ€ten gefunden, Henkings Causticum ist wasserhell, schmeckt mild, riecht etwas nach Kalkwasser und wird milchig-trĂŒbe, wenn es der Luft ausgesetzt wird. Walches Causticum hingegen riecht wie ein in Zersetzung begriffener Stoff.[xxiv]
1844: Gruners PrÀparat riecht stark nach Ammoniak und verfÀrbt Korkstopfen schwarz. Pettes PrÀparat dagegen ist wasserhell und gÀnzlich geschmack- und geruchlos.[xxv]
1845: Das Causticum von Starke besitzt einen eigentĂŒmlichen, der Seifensiederlauge Ă€hnlichen Geruch. Ammoniak lĂ€sst sich nachweisen und beim Versetzen mit SchwefelsĂ€ure nach dem Eindampfen entsteht ein gelbbrauner Faserstoff.[xxvi]
1858: Goullons Causticum ist wasserhell und hat die von Hahnemann beschriebenen GeschmacksqualitĂ€ten. Es riecht nach Kalkdunst, verursacht Brennen im Hals, zeigt aber keine alkalische Reaktion und enthĂ€lt keinen Ammoniak. Daraus schlieĂt Goullon, dass es sich um âdynamisierten Kalk" handeln mĂŒsse.[xxvii]
1861 beschreibt Streintz ein PrĂ€parat von schwachem, eigentĂŒmlich fadem Geruch, das alkalische Reaktion zeigt und Spuren von Ammoniak enthĂ€lt.[xxviii]
1877 stellt Lorbacher in einer mehrteiligen Publikation zahlreiche Arbeiten zu Causticum zusammen, kommt aber bezĂŒglich seiner chemischen Zusammensetzung zu keinem Ergebnis.[xxix]
1926: Nach einer lĂ€ngeren Pause in der Diskussion um Causticum glaubt Wagner, die endgĂŒltige Lösung gefunden zu haben. er weist Ammoniak und Ammoniumsulfit als Inhaltsstoffe nach. Experimentell konnte er zeigen, dass der gefundene Ammoniak aus dem gebrannten Kalk stammt.[xxx] Wagners Ergebnisse nimmt Möckel im gleichen Jahr zum Anlass, in einem Ăbersichtsreferat mit immerhin 62 zitierten Literaturstellen die Problematik um Causticum als abgeschlossen zu betrachten.[xxxi] P. Schmidt[xxxii] lobt 1928 Wagners Untersuchungen in den höchsten Tönen als die einzig ernst zu nehmenden. Er zieht aus dessen Ergebnissen den spektakulĂ€ren SchluĂ, die antipsorische und antisycotische Wirkung des Causticums sei auf den Gehalt an Schwefel zurĂŒckzufĂŒhren. T.F. Allen hĂ€lt Causticum fĂŒr identisch mit Tinctura acris sine Kali und Kali causticum fĂŒr den Inhaltsstoff.[xxxiii]
Hughes vermutet ebenfalls Kali causticum als Inhaltsstoff.[xxxiv] Farrington ein KaliumprÀparat ihm unbekannter Zusammensetzung.[xxxv] Alle drei zuletzt genannten Autoren geben aber keine Quellen oder experimentellen Befunde an.
Was in neuerer Zeit zum Thema Causticum geboten wurde, wirk eher mystifizierend als erhellend und beruht mehr auf Spekulationen als auf solider chemischer Analytik.
1969 hĂ€lt Hochstetter Causticum âfĂŒr ein alchemistisches Problem" und vermutet, dass eventuell Kalilauge bei der Destillation, Ă€hnlich wie bei der Wasserdampfdestillation Ă€therischer Ăle, âmit hinĂŒbergerissen wird". (Kalilauge gehört aber nicht zu den wasserdampfflĂŒchtigen Substanzen, s. unten).[xxxvi]
Mezger behauptet, Causticum sei durch Ammonium carbonicum ersetzbar.[xxxvii] Vithoulkas bringt Hahnemanns Causticumzubereitung in Zusammenhang mit der Alchemie und stellt sie als Beispiel hin fĂŒr die einzelnen Bearbeitungsschritte eines mineralischen Stoffs und die âunglaubliche Genauigkeit", mit der Hahnemann Stoffe auf ihre chemische Eigenschaften untersuchte.[xxxviii] Hagers Handbuch der Pharmazie stellt fest, dass die arzneiliche Wirkung des Causticum nur auf der des Alkohols oder auf Suggestion beruhe, da das Destillat nur Wasser enthalte.[xxxix]
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Eigene Untersuchungen
Um die Frage nach den Inhaltsstoffen von Causticum Hahnemanni wider aufzunehmen, bedarf es einmal des historisch getreuen Nachvollzugs der Herstellungsschritte Hahnemanns, andererseits der modernen analytischen Methoden, mit denen die einzelnen Stufen kontrolliert werden.
Daher muss zunÀchst einmal Hahnemanns Verfahren rekonstruiert werden.
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Hahnemanns PrÀparation von Causticum
Wir finden sie in Band III (S.84-85) der âChronischen Krankheiten", und sie soll hier wörtlich und vollstĂ€ndig wiedergegeben werden.
âMann nimmt ein StĂŒck frisch gebrannten Kalk von etwa zwei Pfunden, taucht dieses StĂŒck in ein GefÀà vol destillierten Wassers, eine Minute lang, legt es dann in einen trockenen Napf, wo es bald, unter Entwicklung vieler Hitze und dem eigenen Geruche, Kalk-Dunst genannt, in Pulver zerfĂ€llt. Von diesem feinen Pulver nimmt man zwei Unzen, mischt damit in der (erwĂ€rmten) porcellĂ€nenen Reibschale eine Auflösung von zwei Unzen bis zum GlĂŒhen erhitzten und geschmolzenen, dann wieder erkĂŒhlt, gepulvertem, doppelsaurem schwefelsaurem Kali (bisulphas kalicus) in zwei Unzen siedend heiĂem Wasser, trĂ€gt diess dickliche Magma in eine kleinen glĂ€sernen Kolben, klebt mit nasser Blase den Helm auf, und an die Röhre des letzteren die halb in wasser liegende Vorlage, und destilliert unter allmĂ€liger AnnĂ€herung eines Kohlefeuers von unten, das ist, bei gehörig starker Hitze, alle FlĂŒssigkeit bis zur Trockenheit ab. Dieses etwa ĂŒber anderthalb Unzen betragende Destillat, von Wasser-Helle, enthĂ€lt in konzentrierter Gestalt jene erwĂ€hnte Substanz, das Causticum, riecht wie Aeth-Kali-Lauge und schmeckt hinten auf der Zunge schrumpfend und ungemein brennend im Halse, gefriert nur bei tiefern KĂ€lte-Graden als das Wasser und befördert sehr die FĂ€ulnis hineingelegter thierischer Substanzen: Auf Zusatz von salzsaurem Baryt lĂ€sst es keine Spur SchwefelsĂ€ure, und auf Zusatz von Oxal-Ammonium, keine Spur von Kalkerde wahrnehmen."
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Die Wiederholung der Hahnemannschen PrÀparation
Um Hahnemanns Arbeitsweise tatsĂ€chliche genau nachvollziehen zu können, war die Kenntnis der ihm zur VerfĂŒgung stehenden GerĂ€tschaften, Laborbedingungen und chemischen Ausgangssubstanzen Voraussetzung. Aufschluss darĂŒber kann wohl Hahnemann selbst am besten geben, und zwar im Apothekerlexikon, das sich fĂŒr diese Arbeit als hervorragende Quelle anbietet. Hier werden verschiedene Destillationsapparaturen beschrieben, auch was eine Destillierblase, was ein zugehöriger Helm (Abb. 1) ist, auch was man unter â... klebt mit nasser Blase den Helm auf..." zu verstehen hat . Da fĂŒr unseren Zweck Hahnemanns Versuchsbedingungen genau nachzuahmen sind, heutige Destillationsapparaturen aber völlig anders aussehen, wurde ein Helm aus Ton nachgebildet, bei ca. 1200°C gebrannt und anschlieĂend innen glasiert. Der Ăbergang vom Destillierkolben zum Helm wurde mit nasser Schweinsblase abgedichtet, ebenso die Verbindung von Helm und Vorlage (Abb. 2). Als WĂ€rmequelle diente ein Holzkohlengrill, der direkt, ohne Sandbad unter dem Kolben platziert wurde. Als Ausgangssubstanzen wurden frisch gebrannter Kalk und zuvor geglĂŒhtes und geschmolzenes Kaliumhydrogensulfat verwendet.
Was haben wir gefunden? Als endgĂŒltiges Produkt Causticum erhielten wir ein Destillat des wĂ€ssrigen, dicklichen Magmas der Reaktionsprodukte. Allgemein findet man in einem Destillat ĂŒbergegangene Lösungsmittel, in diesem Fall Wasser. AuĂer dem Lösungsmittel können flĂŒchtige Stoffe, z.B. wasserdampfflĂŒchtige Ă€therische Ăle, aber auch andere flĂŒchtige Stoffe wie Ammoniak, Schwefelwasserstoff usw. mit dem Lösungsmittel ins Destillat ĂŒbergehen. Die dazu notwendigen Voraussetzungen erfĂŒllen aber weder die Ausgangssubstanzen noch eines der Endprodukte, da keine wasserdampfflĂŒchtigen Substanzen entstehen. Falls dies zutrifft, mĂŒsste das Destillat und damit Causticum Wasser sein. Woher stammen dann aber die von Hahnemann so ausfĂŒhrlich beschriebenen Eigenschaften wie Geruch nach Aetz-Kali-Lauge, schrumpfender und brennender Geschmack, Gefrierpunktserniedrigung und Förderung der FĂ€ulnis hineingelegten Fleisches?
2 KHSO4 -> K2S2O7 + H2O
K2S2O7 -> K2SO4 + SO3
CaO + H2O -> Ca(OH)2
Ca(OH)2 + K2SO4 -> CaSO4 + 2 KOH
Folgende Details der Arbeitsvorschrift verdienen besondere Aufmerksamkeit: GlÀserner Kolben, Helm. Kohlefeuer, gehörig starke Hitze. - Diese Beschreibung ist hinreichend genau, dass man mit Kenntnis der damaligen LaborgerÀte Hahnemanns Vorgehensweise und Resultate gut verstehen kann.
Im wĂ€ssrigen Ăberstand des Reaktionsgemisches befindet sich Kalilauge in konzentrierter Lösung. Diese Lösung wird durch AnnĂ€herung eines Kohlefeuers weiter eingedampft. Dabei setzt der in der Chemie sehr gut bekannte und gefĂŒrchtete Effekt des Siedeverzuges (plötzliches, stoĂartiges Sieden von FlĂŒssigkeiten, die ĂŒber ihren Siedepunkt erhitzt wurden) ein. Besonders bei Alkalien ist dieser stark ausgeprĂ€gt.
Bei zunehmender Eindickung der Lösung und Eintreten eines Siedeverzuges spritzt Kalilauge bis an den Helm und gelangt von dort in die Vorlage, also ins Destillat.
Beim Vergleich mit modernen Destillationsapparaturen erscheinen Hahnemanns glĂ€serner Kolben und der mit nasser Blase aufgesetzte Helm recht primitiv. Es ist deutlich einsehbar, dass ein Emporspritzen vom Kolben zum Helm stattgefunden haben muss, ohne dass dies von Hahnemann bemerkt worden wĂ€re, da ein aus Steinzeug oder Zinn bestehender Helm undurchsichtig war und weiĂe Spritzer von Kaliumhydroxid nicht zu sehen waren.
Bei weiterer Betrachtung der chemischen Eigenschaften der Reaktionspartner fĂ€llt auĂer dem Siedeverzug noch eine weitere Eigenschaft des Kaliumhydroxids auf: KOH sublimiert unzersetzt ab Temperaturen von 350.400 Grad Celsius. Diese Temperatur könnte Hahnemann mit dem von ihm verwendeten Kohlefeuer (âgehörig starke Hitze") ĂŒberschritten haben. Sollte Hahnemann seine Destillation fortwĂ€hrend ĂŒberwacht und durch gelegentliches Wegnehmen des Kohlenfeuers einen Siedeverzug verhindert haben, könnte er durch die direkte Einwirkung des Feuers die Temperatur erreicht haben, bei der KOH sublimiert. Auch Hahnemanns Beschreibungen der Eigenschaften seines Destillates lassen nur Kalilauge als mögliches Produkt in Frage kommen. Alle bisher angefĂŒhrten Argumente sprechen somit dafĂŒr, dass Causticum Hahnemanni aus Kalilauge besteht.
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Die Analysen unseres Causticum
Um festzustellen, ob aus der von uns verwendeten Destillationsapparatur Substanzen ins Destillat gelangen können, wurden vor Versuchsbeginn ca. 250ml Wasser ĂŒberdestilliert. Darin waren mit analytischen Methoden des DAB9 keine Natrium-, Kalium-, Ammonium- oder Sulfationen nachzuweisen. In unserem Causticum-PrĂ€parat, dem Destillat der Reaktionsprodukte, konnten jedoch eindeutig Kaliumionen nachgewiesen werden. Dagegen waren keine Ammoniumionen, mit Ammoniumoxalat keine Calciumionen und mit Bariumchlorid auf Sulfationen[xl] feststellbar. Die Nachweisreaktion mit Bariumchlorid auf Sulfat ist, im Gegensatz zu der von Oxalat auf Calcium, hinreichend empfindlich, um Hahnemanns Angabe, dass âkeine Spur SchwefelsĂ€ure" wahrnehmbar sei, glauben zu können. Dagegen verfĂŒgte Hahnemann ĂŒber keinen empfindlichen Kaliumnachweis, der es ihm ermöglichte, die Anwesenheit von Kalilauge, auĂer durch seinen Geruchssinn, zu erkennen. Der PH Wert lag etwa bei 7,4-7,6. Diese Ergebnisse stehen also in guter Ăbereinstimmung mit den Eigenschaften, die Hahnemann seinem PrĂ€parat zuschreibt, so dass eine schwache Kalilauge als der geheimnisvolle Inhaltsstoff des Causticum anzusehen ist.
Weitere Experimente und: wie konnten andere Autoren zu ihren unterschiedlichen Ergebnissen kommen?
Aus den wenigen detaillierten Angaben einiger Autoren erklĂ€ren sich diese auch von Hahnemann abweichende Arbeitsweisen. So setzte Buchner andere stöchiometrische VerhĂ€ltnisse ein und hat seine Apparatur weder verkittet noch mit einer Blase verbunden.[xli] Lappe verwendete eine beschlagene Tubularetorte und einen Kitt aus Mehl und Lutum. [xlii] Goullon hat 48 Stunden lang destilliert.[xliii] Piper destillierte mit Spirituslampe, Sandbad und Retorte.[xliv] Starke meinte, das â... Fortsetzen der Destillation bis zur völligen Trockenheit... ist... nicht zweckmĂ€Ăig", weshalb er sicher niedrigere Temperaturen als Hahnemann benutzte.[xlv] Wagners Untersuchungen verdienen besondere Beachtung, da sie i n die Neuzeit der Chemie fallen und offenbar die gegenwĂ€rtige industrielle Causticumproduktion beeinfluĂt haben. Wagner wich in einigen Vorschriften deutlich von Hahnemanns Vorschriften ab: 1. Er setzte Kaliumhydrogensulfat direkt mit Calciumhydroxid um, ohne dieses vorher geglĂŒht zu haben. Beim GlĂŒhen entsteht daraus das Kaliumsulfat (siehe Reaktionsgleichungen). 2. Er destillierte ca. 5 l statt ca. 0,045 l aus einem Zinnblechkesses statt aus einem Glaskolben. AuĂerdem unterlag er zwei IrrtĂŒmern: 1. Er glaubte, durch das Ausbleiben der alkalischen Reaktion nach dem GlĂŒhen des TrockenrĂŒckstandes (aus dem Destillat) die Anwesenheit von Alkali ausschlieĂen zu können. Daraus interpretierte er, dass eine flĂŒchtige Ammoniumverbindung fĂŒr die alkalische Reaktion verantwortlich sei, ĂŒbersah aber dabei, dass Kaliumhydroxid beim GlĂŒhen sublimiert. 2. Seine Vermutung, der nachgewiesene Ammoniak entstehe aus zuvor gebildetem Calciumnitrid, ist wenig stichhaltig, da Calciumnitrid durch Oxidation von elementarem Calcium entsteht (3 Ca + N2 -> Ca3N2), nicht aus Calciumoxid und Luftstickstoff.[xlvi]
Da auch zahlreiche andere Autoren Ammoniak gefunden haben, wurden noch weitere Experimente durchgefĂŒhrt. Nach deren Angaben stammt der Ammoniak aus dem gebrannten Kalk, der diesen mit Wasser gelöscht und unmittelbar danach destilliert. Frisch gebrannter Kalk wurde nach dem AbkĂŒhlen ebenso behandelt, desgleichen ein StĂŒck Kalkstein der SchwĂ€bischen Alb. In keinem der drei Destillate konnte mit DAB 9-Methoden Ammoniak nachgewiesen werden. Eventuell im Kalk enthaltene organische Substanzen werden beim GlĂŒhen offensichtlich zerstört. Als nĂ€chstes wurde Schweinsblase mit Kalilauge gekocht und destilliert. Hier konnte im Destillat tatsĂ€chlich Ammoniak nachgewiesen werden. Dies legt den Verdacht nahe, dass der gefundene Ammoniak durch Hydrolyse organischer Verbindungen mit Kalilauge entstanden sein könnte, was davon abhĂ€ngt, ob die entstehende Kalilauge in direktem Kontakt mit der Blase gekommen war.
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Analyse einiger Causticum-PrÀparate der pharmazeutischen Industrie
Causticum Urtinkturen der Firmen DHU, JSO und Staufen-Pharma wurden auf Natrium, Kalium, Ammonium und Sulfat untersucht: In allen drei PrÀparaten war der Ammonium-Nachweis des DAB9 positiv, der auf Kalium dagegen negativ!
Das JSO-PrĂ€parat fiel durch eine besonders hohe Ammoniumionenkonzentration auf. FĂŒr eine so hohe Ammoniumionenkonzentration hatte zuvor Starke[xlvii] eine ErklĂ€rung parat, als er den Ammoniakgeruch eines PrĂ€parates anprangerte:
âDer wirkliche Ammoniumgeruch des Grunerschen Causticum wird dadurch veranlasst worden sein, dass ein GehĂŒlfe desselben, im dieĂ PrĂ€parat zu verstĂ€rken, einige Tropfen Liquor ammonii caustici hinzugetan haben zu dĂŒrfte; in dem diese Leute sich gar nicht von der Idee trennen können, dass nur Viel und recht starke Arzneimittel viel helfen können, ... unter welchen VerhĂ€ltnissen aber die ZuverlĂ€ssigkeit in den homöopathischen Apotheken sehr getrĂŒbt werden muss."
Dies dĂŒrfte fĂŒr das JSO-PrĂ€parat nicht in dieser Form zutreffen. Jedoch kann selbst Wagners Theorie zur Entstehung des Ammoniaks bei der PrĂ€paration des Causticum diese Konzentration, bei BerĂŒcksichtigung der stöchiometrischen VerhĂ€ltnisse, nicht befriedigend erklĂ€ren.
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Diskussion der Ergebnisse
Hahnemann unterlag bei Darstellung seines Causticum tatsĂ€chlich dem Irrtum[xlviii], âdie kaustische Kraft" der Alkalimetalle isolieren zu können. Dieser ist aber aus den historischen Gegebenheiten, d.h. dem damaligen Wissensstand der Chemie zu verstehen. Ganz und gar unverstĂ€ndlich ist dagegen, dass die IrrtĂŒmer seiner Zeitgenossen und Nachfolger bis zur heutigen Zeit tradiert und von pharmazeutischen Herstellern offensichtlich kritiklos ĂŒbernommen wurden. Niemand hielt es bisher fĂŒr notwendig, Hahnemanns Versuchsbedingungen genau nachzuvollziehen.
Entscheidend fĂŒr die QualitĂ€t eines homöopathischen Arzneimittels ist die Ăbereinstimmung mit dem tatsĂ€chlich geprĂŒften Arzneimittel, von dem die Symptome der Materia medica stammen, und nicht seine âVerbesserung" durch Anwendung moderner Verfahren bei der Herstellung, die es gegenĂŒber dem PrĂŒfstoff verĂ€ndern! Man fragt sich auch, wie die bisherigen Therapieerfolge mit Causticum, das Ammonium causticum statt Kali causticum enthĂ€lt, zustande kommen konnten.
Es ist hier vielleicht der Ort auf zweierlei hinzuweisen: Das VerhĂ€ltnis der homöopathischen Pharmazeuten zu den homöopathischen Ărzten ist ein völlig anderes als bei der naturwissenschaftlichen Medizin. Hier sind die Ărzte als EmpfĂ€nger und Verteiler der gelieferten Produkte untergeordnet. In der Homöopathie dagegen hat die Ă€rztliche Arbeit wesensmĂ€Ăig den Vorrang vor dem Apotheker, an den sie die Herstellung nun delegiert hat (d.h. heute delegieren muss), um das zu erhalten, was aufgrund des homöopathischen Heilgesetzes notwendig ist: ein mit dem PrĂŒfstoff völlig identisches Produkt. Anders kann die gesetzmĂ€Ăig-wissenschaftliche Heilung nicht gewĂ€hrleistet werden, was das Eigentliche der Homöopathie ausmacht.
Dringend notwendig und zur Erweiterung der Materia medica unerlĂ€sslich ist die ĂberprĂŒfung der durch Ammonium causticum statt Kali causticum tatsĂ€chlich geheilten FĂ€lle in bezug auf das Vorliegen von Ammonium-Symptomen.
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[i] Herrn Dipl.-Chem. C. Scholz danke ich fĂŒr viele wertvolle Hinweise und Frau H. Wolter fĂŒr die Nachbildung des Helms.
[ii] CK III, S. 82.
[iii] Fragmenta de viribus medicamentorum, S. 15-16.
[iv] RA II, S. 35-39.
[v] Der Weg von der Ătzstofftinktur zum Causticum wird gesondert untersucht werden.
[vi] HYG 2 (1835) 434-436
[vii] HYG 4 (1836) 3.
[viii] HYG 19 (1844) 541-544: âDie AutoritĂ€t HahnemannÂŽs ist hier gerade so ungiltig, wie beim Borax, den er einst ebenfalls, wie er in seinem uns bekannten, ihm nur zur Ehre gereichendem Widerrufe aussprach, fĂŒr einen neuen Stoff gehalten hatte."
[ix] HYG 12 (1840) 228.
[x] HYG 6 (1837) 96.
[xi] HYG 12 (1840) 229.
[xii] HYG 2 (1835) 435.
[xiii] HYG 4 (1836) 3.
[xiv] AHZ 11 (1837) 248-249.
[xv] HYG 5 (1837) 451.
[xvi] HYG 12 (1840) 221-228.
[xvii] HYG 13 (1840) 282.
[xviii] LPZ 45 (1914) 6-7. In diesem Brief gibt Hahnemann eine von dem Text der CK leicht abweichende Vorschrift.
[xix] ACS 19 (1841), 2, 10-17.
[xx] HYG 15 (1841) 341.
[xxi] HYG 16 (1842) 453.
[xxii] HYG 18 (1843) 371.
[xxiii] AHZ 23 (1843) 117.
[xxiv] HYG 18 (1843) 370-371.
[xxv] Griesselich, HYG 19 (1844) 541-544.
[xxvi] AHZ 29 (1845) 258-262.
[xxvii] AHZ 57 (1858) 113.
[xxviii] AHZ 62 (1861) 87.
[xxix] AHZ 95 (1877) 1-20.
[xxx] AHZ 174 (1926) 113-122.
[xxxi] AHZ 174 (1926) 180-197.
[xxxii] PRLO 13 (1928) 93-104. Schmidt hĂ€lt Allens Behauptung, aufgrund der Reaktionsgleichung Ca(OH) + K2SO4 -> CaSO4 + 2 KOH kĂ€me nur Kalilauge als Produkt in Frage, fĂŒr zu simpel und sie könne daher nicht ernsthaft in ErwĂ€gung gezogen werden.
[xxxiii] EN, III, S. 35 : « The destillate contains Potassium hydrate, but no lime nor Sulphuric acid. »
[xxxiv] Hughes II, 1979. 47.
[xxxv] Farrington 1931. 703
[xxxvi] ACH 13 (1969) 64-66.
[xxxvii] Mezger I; 1964. ". 411.
[xxxviii] Vithoulkas 1986. 169.
[xxxix] Hagers Handbuch, 1949. 346: âIn kĂ€uflichem Causticum konnte ebenfalls nichts anderes festgestellt werden, als eine sehr geringe Spur von Ammoniak."
[xl] In einem von mehreren Versuchen konnten Spuren von Sulfat und mit einem sehr empfindlichen Reagens (Glyoxalbishydroxyanil) auch Spuren von Calcium nachgewiesen werden. In diesem Versuch war aber die Erhitzung bewusst nicht mit der von Hahnemann geforderten Vorsicht erfolgt und fĂŒhrte daher zu einem ausgeprĂ€gten Siedeverzug.
[xli] AHZ 11 (1837) 248-249.
[xlii] vgl. Anm. 19.
[xliii] vgl. Anm. 27.
[xliv] vgl. Anm. 16.
[xlv] vgl. Anm. 26.
[xlvi] vgl. Anm. 30.
[xlvii] AHZ 29 (1845) 260.
[xlviii] Fasst man Hahnemann's Idee, die basische Eigenschaft von Alkalimetallen abzutrennen etwas weiter und berĂŒcksichtigt, dass das Ionenprodukt des Wassers (also die H+ - oder OH- - Konzentration) fĂŒr die alkalische Reaktion verantwortlich ist, war sie gar nicht so falsch.
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Quelle: Andreas Grimm, Heilpraktiker, TĂŒbingen
Aetzstoff, Caustic Potash, Causticum, Causticum Hahnemanni BESTELLEN BEI REMEDIA